Das lateinamerikanische Umweltzentrum CEPIS in Lima: Entwicklungshilfe vom Globalen Süden für den Globalen Süden

This piece examines the Centro Panamericano de Ingeniería Sanitaria y Ciencias del Ambiente (CEPIS), a multidisciplinary regional center in Latin America and the Caribbean, which sought to address problems at the crossroads of environment, technology, and health in the wider region. Following a bottom-up initiative by dedicated Latin American engineers at the end of the 1960s, the Pan American Health Organization (PAHO) established the center in Lima. This piece explores the emergence of CEPIS, outlines its most important activities, and explains why it was more diverse than other development organizations – and what advantages this brought along for its activities.


In meiner Dissertation gehe ich der Frage nach, wann urbane Umweltprobleme als Feld der Entwicklungspolitik entdeckt wurden. Unter Entwicklungspolitik verstehe ich langfristige, umfassende humanitäre, finanzielle, kulturelle, praktische, programmatische, politische, ideologische, technische oder wissenschaftliche Maßnahmen, die Regierungen einzelner oder mehrerer Staaten, NGOs oder internationale Organisationen ergriffen haben. Zweck dieser Maßnahmen ist es, der Bevölkerung des sogenannten Globalen Südens, also der Länder, die man zuvor Entwicklungs- und Schwellenländer nannte, dabei zu helfen, vor allem in sozioökonomischer Hinsicht zu den Industrieländern aufzuschließen und so einen besseren Lebensstandard zu erreichen.

Ich untersuche die Umweltprobleme, die die boomenden Städte des Globalen Südens in der frühen zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts beschäftigten. Außerdem befasse ich mich mit den Strategien, die Städte, Forscher*innen an lokalen Universitäten, regionale Entscheidungsträger*innen, nationale Politiker*innen und interessierte internationale Organisationen entwickelten, um die Umweltprobleme der aufstrebenden Metropolen zu lindern. Um meine Forschung einzugrenzen, arbeite ich mit zwei exemplarischen Fallstudien: eine zur Luftverschmutzung in der mexikanischen Hauptstadt Mexiko-Stadt und eine andere zur Gewässerverschmutzung im brasilianischen São Paulo, das zu dieser Zeit den größten Industriekomplex der Welt beherbergte.[1]

Ein kurzer Ausflug nach Lima zum CEPIS

Viele der internationalen Institutionen, die seit den 1950er Jahren begannen, Entwicklungsbemühungen zu unterstützen, waren westlich geprägt. Dazu gehörten zweifelsohne die Weltbank mit Sitz in Washington D.C., die United States Agency for International Development (gemeinhin als USAID bekannt) und Regierungen europäischer Länder, wie Schweden und der Niederlande, um nur einige zu nennen. Dennoch gibt es einige Fälle, in denen die Entwicklungshilfe nicht aus der reichen industrialisierten Welt in den armen Globalen Süden floss, sondern in denen Akteure*innen aus dem Globalen Süden die Menschen in den weniger entwickelten Ländern dabei unterstützten, ihre eigene Situation zu verbessern. Über eines dieser Beispiele bin ich bei meinen Recherchen für die Dissertation gestolpert: das CEPIS, das erste lateinamerikanische Umweltzentrum.

Ehrlich gesagt, hatte ich vor Beginn meines Dissertationsprojekts noch nie etwas von CEPIS gehört. In der historischen Forschung wurde es, wenn überhaupt, nur in Fußnoten erwähnt. Der Grund dafür liegt wohl darin, dass die peruanische Hauptstadt Lima – der Sitz des CEPIS – für viele Forscher*innen nicht nur räumlich, sondern auch sprachlich schwer zu erreichen ist. Nicht zuletzt steht die Forschung zu entwicklungspolitischen Umweltmaßnahmen innerhalb Lateinamerikas noch ganz am Anfang.[2]

In meinem Blogbeitrag möchte ich euch auf eine kurze Reise nach Lima mitnehmen. Gemeinsam schauen wir uns die Entstehung des lateinamerikanischen Umweltzentrums an und erfahren, warum das CEPIS im Vergleich zu anderen Entwicklungsorganisationen diverser war und welche Vorteile dies für seine entwicklungsbezogenen Aktivitäten mit sich brachte.

CEPIS – eines der ersten Umweltzentren Lateinamerikas

Wofür steht CEPIS eigentlich? CEPIS ist die zugegebenermaßen recht sperrige Abkürzung für Centro Panamericano de Ingeniería Sanitaria y Ciencias del Ambiente. Im englischsprachigen Raum hat sich keine einheitliche Übersetzung durchgesetzt, so dass allein in den Jahresberichten der Weltgesundheitsorganisation (WHO, kurz für Englisch World Health Organization) und der panamerikanischen Gesundheitsorganisation (PAHO, kurz für Englisch Pan American Health Organization) sechs verschiedene Übersetzungen zu finden sind, von denen Pan American Center for Sanitary Engineering and Environmental Sciences und Pan American Sanitary Engineering and Environmental Sciences Center zu den gängigsten gehören. Damit ist der Zweck des Zentrums bereits klar umrissen: Als multidisziplinäres und regionales Zentrum in Lateinamerika und der Karibik wollte das CEPIS Probleme an der Schnittstelle von Umwelt, Technik und Gesundheit angehen. Es ist daher nicht überraschend, dass die PAHO an seiner Gründung Ende der 1960er Jahre beteiligt gewesen ist.

CEPIS – Eine Initiative engagierter Ingenieure

Auch wenn das CEPIS ein Teil der PAHO gewesen ist, war es nicht die kontinentale Gesundheitsorganisation, die die Gründung des CEPIS anregte. Sie ging vielmehr auf eine Bottom-up-Initiative eines lateinamerikanischen Ingenieurverbandes, der AIDIS, zurück. Innerhalb der Asociación Interamericana de Ingenieria Sanitaria (AIDIS) kursierten die ersten Ideen für das Umweltzentrum bereits Anfang der 1960er Jahre. Die Ingenieure entwickelten ihre Idee weiter und stellten sie verschiedenen Institutionen vor, darunter auch der PAHO. Dort rannten die engagierten Ingenieure offene Türen ein.

Nach ersten Gesprächen mit den Ingenieuren verschaffte sich die PAHO-Abteilung für Umweltgesundheit (Division of Environmental Health) einen Überblick über das Interesse innerhalb der Region. Es war beträchtlich, denn immer mehr Länder des amerikanischen Subkontinents sahen sich mit komplexen Umweltproblemen konfrontiert, die durch die rasante Urbanisierung und die schnelle Industrialisierung entstanden waren. Da die personellen und finanziellen Ressourcen in der Region äußerst knapp waren, baten die lokalen Entscheidungsträger*innen vermehrt um Entwicklungshilfe. Die PAHO war dabei eine willkommene Anlaufstelle, da Umweltprobleme damals in die Zuständigkeit von Gesundheitsbehörden und -organisationen fielen.

Die PAHO erkannte dabei allerdings schnell, dass ihre eigenen entwicklungspolitischen Kapazitäten nicht mehr genügten, um alle ihre Mitgliedsstaaten bei der Bekämpfung von Umweltproblemen, insbesondere der urbanen Umweltprobleme, angemessen zu unterstützen. Sie beschloss daher, eine neue Einheit, das CEPIS, zu schaffen und ordnete sie ihrer Abteilung für Umweltgesundheit zu. Ein Prozess, der als “institution building,” als Gründung und Stärkung neuer Organisationseinheiten und als wichtiger Teil der Entwicklungspolitik verstanden werden kann.

Das neue Zentrum in Lima

Nach mehreren Jahren der Planung gelang es der PAHO, einen geeigneten Standort für das neue lateinamerikanische Umweltzentrum zu finden: die peruanische Hauptstadt Lima. Zunächst nutzte das CEPIS dort ehemalige PAHO-Büros, bevor es Mitte der 1970er Jahre in ein nagelneues Gebäude zog, das von der peruanischen Regierung finanziert wurde. In den großzügigen Räumlichkeiten befanden sich laut der CEPIS-Jahresberichte nicht nur Büros, sondern auch ein Labor, eine Bibliothek, eine Druckerei und Konferenzräume.

Das neue CEPIS Gebäude, ca. 1975.[3]
[Bildbeschreibung: Das Schwarzweißfoto zeigt eine Auffahrt für Autos und ein längliches Bürogebäude.]

Da das anfängliche Budget des CEPIS relativ gering war, konzentrierte sich das neue Umweltzentrum in erster Linie auf die Bereitstellung von technischer Hilfe, also beispielsweise den Einsatz von Expert*innen. Hier konnte es auch mit begrenzten Mitteln und einem kleinen Stab eine große Wirkung erzielen, z.B. indem es zur Fort- und Weiterbildung von Personal beitrug.[4]

CEPIS – Entwicklungsarbeit mit einer diverseren Mitarbeiterschaft

Schaut man sich den Personalbestand des CEPIS an, fällt auf, dass dieser für damalige Verhältnisse weitaus diverser war als der der großen Entwicklungsorganisationen. In der Weltbank arbeiteten beispielsweise bis zur Präsidentschaft Robert McNamaras (1968-1980) hauptsächlich weiße Männer aus anglophonen Ländern. Bei der Washingtoner Entwicklungsbank besaß bis ins Jahr 1967 allein die Hälfte der Mitarbeiterschaft einen US- oder britischen Pass. Kaum 30 Prozent waren Staatsangehörige anderer Industrieländer.[5] Dies war vor allem darauf zurückzuführen, dass der Zugang zu einer dazu notwendigen Hochschulausbildung für diese Gruppe sprachlich und monetär vergleichsweise einfach war.

Das CEPIS hingegen beschäftigte – wie die in den Jahresberichten abgedruckten Personallisten zeigen – überwiegend lateinamerikanische Personen. Dies war kein Nachteil für ihre Arbeit. Ganz im Gegenteil: Die lateinamerikanischen Mitarbeiter*innen konnten vor Ort effizienter arbeiten, weil sie die Sprache und Kultur der betroffenen Bevölkerung besser verstanden als Entwicklungshelfer*innen westlicher Organisationen. Schließlich hatten nur wenige westliche Entwicklungshelfer*innen einen umfassenden Einblick in die lateinamerikanische Lebenswirklichkeit, weshalb sie mit Vorurteilen und Widerstand zu kämpfen hatten, die Projekte verzögerten.

Was ebenfalls auffällt, ist der relativ hohe Anteil von weiblichen Angestellten. Ein Grund dafür ist jedoch, dass CEPIS einen großen Teil der administrativen Arbeiten durchführte, die damals traditionell von Frauen erledigt wurden, wie z. B. im Sekretariat, in der Stenografie und in der Bibliothek.  

CEPIS Bibliothek, vermutlich mit einer Schreibkraft um das Jahr 1972.[7]
[Bildbeschreibung: Das Schwarzweißfoto zeigt eine Frau, die an einem Tisch sitzt und auf einer Schreibmaschine tippt. Sie sitzt in einem Raum, in dem es viele Regale mit Büchern und Akten an den Wänden gibt.]

Nichtsdestotrotz machte das CEPIS Frauen bei der Wahrnehmung dieser Aufgaben in der Außendarstellung sichtbar, zum Beispiel in den Personallisten oder auf Fotos in den Jahresberichten. Die einzige Frau, die nicht als Bürokraft angestellt war, war übrigens María Luisa Castro, die – lange Zeit als einzige Mitarbeiterin – im CEPIS-Labor arbeitete und es leitete.

Liste der Mitarbeiter*innen des CEPIS im Jahr 1979.[8]
[Bildbeschreibung: Diese Abbildung ist die Kopie einer spanischsprachigen Liste. Sie enthält die Namen der Mitarbeitenden des CEPIS. Aus der Liste geht hervor, dass einige der Mitarbeitenden weiblich sind.]
Technische Hilfe – CEPIS’ Kerngeschäft

Allerdings war keine der Frauen im Kerngeschäft des CEPIS, der Beratung, beschäftigt. Die CEPIS-Experten für Industriehygiene, Luftverschmutzung, Wohnen und Urbanisierung, ländliche Planung und Wasseraufbereitung waren allesamt Männer. Als Handlungsreisende waren sie viele Jahre in Lateinamerika und der Karibik unterwegs. Dort unterstützten sie lokale und nationale Regierungen bzw. Regierungszweige, lokale Universitäten, aufstrebende Städte und lokale Experten*innen im Kampf gegen Umweltprobleme. Im Jahr 2010, als das CEPIS seine Arbeit einstellte, und Teil der PAHO Unit of Climate Change and Environmental Determinants of Health in Washington, D.C. wurde, übernahm die PAHO die Aufgaben des CEPIS.

Was bleibt vom CEPIS?

Doch was bleibt vom CEPIS? Es gibt drei Punkte, die wichtig sind:
Erstens, dass das CEPIS es eine der wenigen entwicklungspolitischen Einrichtungen ist, die auf Initiative des Globalen Südens entstanden ist und bei der die Entwicklungshilfe seither vom Globalen Süden in den Globalen Süden geflossen ist.
Zweitens, dass das das CEPIS noch vor der bahnbrechenden Konferenz der Vereinten Nationen über die Umwelt des Menschen (1972) zur Institutionalisierung der entwicklungspolitischen Arbeit im Umweltbereich innerhalb Lateinamerikas beigetragen hat, indem es als “das fehlende Rädchen zur Vervollständigung des Systems der technischen und wissenschaftlichen Hilfe, das die PAHO den Ländern für die Zusammenarbeit bei der Lösung von Umweltproblemen bietet”, gilt.[9]
Drittens hatte das CEPIS für die damalige Zeit eine diverse Belegschaft, die es in seinen Jahresberichten hervorhob.


Vielen Dank an Katrin Kleemann für ihre Hilfe bei der Bearbeitung dieses Beitrags / Thank you to Katrin Kleemann for her help with editing this piece.

[1] Einen Überblick, was ich genau in meiner Dissertation untersuche, gibt: Sabrina Kirschner: Governing Urban Environmental Problems in Developing Countries: Mexico City, São Paulo and the Discovery of Urban Environmental Problems as a Field of Development Policy. In: Jahrbuch für europäische Überseegeschichte 16 (2016), S. 187-203.

[2] Der Beitrag fußt daher hauptsächlich auf Quellen aus dem Umfeld des CEPIS, die beispielsweise im Archiv der Weltgesundheitsorganisation oder online auf verschiedenen lateinamerikanischen Portalen eingesehen werden konnten. Für die Auskünfte zum Verbleib des CEPIS danke ich Dr. Marcelo Korc, dem Leiter der Unit Climate Change and Environmental Determinants of Health bei der PAHO und seinen Mitarbeiter*innen.

[3] Centro Panamericano de Ingeniería Sanitaria y Ciencias del Ambiente: Informe anual 1975. [Lima] [1976], o.S..

[4] Ausführlichere Informationen dazu finden sich in den Jahresberichten des CEPIS und der PAHO.

[5] Theodore H. Cohn: Developing Countries in the International Civil Service: The Case of the World Bank Group. In: International Review of Administrative Sciences 41 (1975), S. 47–56.

[6] Die Daten in der Tabelle basieren auf den Jahresberichten des CEPIS. In den ersten Jahren hat das CEPIS dort seine Belegschaft nur überblicksweise nach Funktion aufgelistet, wobei allerdings auch Rückschlüsse auf das Geschlecht der Angestellten möglich waren. Seit dem Jahr 1975 erfolgte eine eine namentliche Auflistung aller Mitarbeiter*innen.

[7] Centro Panamericano de Ingeniería Sanitaria y Ciencias del Ambiente: Informe anual 1972. [Lima] [1973], o.S..

[8] Centro Panamericano de Ingeniería Sanitaria y Ciencias del Ambiente: Informe anual 1979. [Lima] [1980], o.S..

[9] Centro Panamericano de Ingeniería Sanitaria y Ciencias del Ambiente: Historia del CEPIS. Lima 1992, S. 2, Übersetzung des Zitats durch die Autorin.

*Titelbild: CEPIS HQ in Lima, Avenida Salaverry 722, ca. 1972. Informe anual 1972. [Lima 1973], s.p.

[*Titelbildbeschreibung: Das Schwarzweißfoto zeigt das ein Gebäude. Auf dem Gebäude befindet sich eine Flagge und im Vordergrund stehen Bäume.]